Eine Shortstory
Es ist das Jahr 2013. Du bist jung aber hast begriffen, dass Kapitalismus die Welt kaputt macht.
Du informierst dich und erfährst, dass Kapitalismus viel mit internationalen Verflechtungen und Globalisierung zu tun hat. Deshalb unterstützt du lokal-basierte Wirtschaftsformen, insbesondere lokal produzierte Produkte, die sich den typischen kapitalistischen Kreisläufen und Vertriebswegen verweigern.
Du wirst aktiver und besuchst alternative Märkte, Veranstaltungen und Websites. Während du dort wirklich tolle, lokal erzeugte Produkte probierst und deine Einkaufsliste entsprechend änderst, erfährst du, dass im Grunde eine kleine Minderheit von Leuten für all das verantwortlich ist, was schief läuft. Da du die Produkte schätzen gelernt hast, vertraust du den Ansichten der Szene.
OK, du merkst vielleicht, dass es da auch Leute gibt, die gegen Impfungen wettern, oder die auf irgendwelche Mittelchen schwören, die exklusiv von einer ganz bestimmten alternativen Firma vertrieben werden. Du bist ja helle und musst nicht alles mitmachen.
Deine regelmäßige Präsenz beim alternativen Einkauf bleibt natürlich nicht unentdeckt. Sind ja auch nette Menschen dort. Du kommst ins Gespräch. Man versteht sich. Es tut dir gut. Du wirst zu einem Info-Abend eingeladen. Dort erklärt ein Redner, dass das Erzeugen der tollen lokalen Produkte auf die Dauer nur rentabel bleibe, wenn die Schwemme billiger Importe aufhöre, den Markt für einheimische Produkte kaputt zu machen. Da das Land jedoch als Teil der EU entsprechende Verflechtungen und Verpflichtungen eingegangen sei, müsse man aus der EU raus. Seine neu gegründete Partei werde sich dafür einsetzen.
Du bist zwar etwas irritiert, weil dir das mit der Reisefreiheit innerhalb Europas eigentlich gut gefallen hat. Aber du siehst ein, dass der Kapitalismus nur besiegt werden kann, wenn man die globalisierten Waren- und Geldströme ins Stocken bringt. Nach ein paar weiteren Treffen wird dir klarer, wie das alles zusammenhängt: die internationale Finanzelite, die globalisierten Warenströme, und das bewusste Aushöhlen lokaler Eigenheiten und Identität. Du entschließt dich, der neu gegründeten Partei beizutreten.
Das studentisch geprägte Viertel der Stadt, in dem du seit einigen Jahren lebst, ist dir in der Zeit eigentlich ziemlich ans Herz gewachsen. Doch auf einer Ortsgruppenversammlung deiner neuen Partei bietet dir jemand an, in eine große Hofgemeinschaft mit Hofladen zu ziehen, nicht weit von der Stadt entfernt, mit öffentlicher Verkehrsanbindung. Du findest heraus, dass der Weg mit dem Bus von dort bis zu deiner Halbtagsstelle eigentlich auch nicht länger ist als von deinem aktuellen Appartment aus. Die Aussicht, in einer richtigen Hofgemeinschaft zu leben, die vieles selber produziert, gefällt dir und passt zu deinen Einsichten.
Wenige Wochen später hast du es dir bereits gemütlich gemacht in dem geräumigen Zimmer, das du nun innerhalb der Hofgemeinschaft bewohnst. Du hast dich für Arbeitsdienste einteilen lassen. Nicht nur Landwirtschaft und ein Hofladen wird von der Hofgemeinschaft betrieben. Man näht auch gerade an neuen Kleidern für die bevorstehende Sonnwendfeier. Tradition und Moderne sollen zusammengehen, heißt es, und die Sonnwendfeier sei eine alte, von Christentum und Moderne vergessene germanische Tradition. Du findest es schön, dass diese Leute sich auch über so etwas Gedanken machen.
Weniger schön findest du dagegen, dass eine Person, die du eigentlich recht sympathisch fandest, einige Zeit später auf Beschluss der Hofleitung die Hofgemeinschaft verlassen muss, wegen falscher Identität, wie es heißt. Jemand hat dir dazu noch erklärt, dass diese Person verschwiegen hat, dass sie noch einen zweiten Pass besitze und in Wirklichkeit vorderasiatische Wurzeln habe. Es gibt noch ein paar Diskussionen deswegen. Doch die Hofleitung setzt sich durch mit dem Hinweis, dass man kein Interesse habe, sich den Globalismus durch die Hintertür auf diesen Hof zu holen, der schließlich mit einheimischen Produkten für sich werbe.
In deinem Kopf geht einiges durcheinander. Aus verschiedenen Medien hast du mittlerweile vernommen, dass deine Partei als rechtsextrem eingestuft werde, zumindest bestimmte Flügel davon. Nun bist du ja nur in der Ortsgruppe aktiv und hast dich bislang noch gar nicht mit den Flügeln und Richtungskämpfen der Parteispitzen befasst. Zwar ist dir aufgefallen, dass in dem Handy-Chat der Ortsgruppe schon öfter mal Begriffe wie Judenkacke die Rede war, oder dass man sich endlich die große Säuberung herbeisehne. Aber das hast du irgendwie elegant überflogen und es damit abgetan, dass sich ja der öffentliche Tonfall insgesamt verschärft habe in den letzten Jahren, und trotzdem sei nichts Schlimmes passiert. In den Seminaren, die es von Zeit zu Zeit in der Hofgemeinschaft gibt, hast du jedenfalls gelernt, dass ohne bewusst gelebte und erhaltende Identität und Heimat alles immer nur in diffusen, krankmachenden Kapitalismus und Globalismus abgleite, und man sehe ja an großen Teilen der Bevölkerung, wohin das führe – Depressionen, körperliche Schwäche, Desorientierung und Überfremdung.
Das siehst du mittlerweile genauso. Du möchtest fit sein, stark sein, zu deiner Identität stehen und dich nicht mehr von der kapitalistischen Beliebigkeit einnebeln lassen. Etwas mulmig war dir neulich noch dabei, als ihr gemeinsam gegen die geplante Nutzung eines ehemaligen Hotels als Flüchtlingsheim protestiert habt, wobei ein paar Demoteilnehmer Fensterscheiben im Erdgeschoss des noch leeren Hauses zerstörten und Brandsätze in die Räume warfen, bis dichter Qualm heraus trat. Der herbeigerufenen Feuerwehr gelang es recht schnell, den Brand wieder zu löschen. Polizei war auch zugegen, aber festgenommen wurde niemand. Parteifreunde erklärten dir grinsend, dass die Polizei nun mal ihre Freunde und Helfer seien.
So richtig Klick macht es bei dir aber erst einige Zeit später, nach der Sache mit der Tasche. Du hast dich nach langer Zeit mal wieder mit ein paar alten Freunden auf einen Kinoabend getroffen. Du weißt, dass diese alten Freunde eher dem linken Milieu angehören und willst keinen Stress wegen politischer Anschauungen. Deswegen erzählst du nichts von deiner Parteizugehörigkeit, und auch nichts von der Sache mit dem Flüchtlingsheim. Stattdessen erklärst du ihnen, dass du ganz in der Hofarbeit aufgehen würdest. Das finden sie gut. Zwei von ihnen kennen den Hofladen auch von eigenen Einkäufen. Nach dem Abschied wartest du an der Haltestelle auf den letzten Bus und schlenderst gedankenverloren hin und her. Da hörst du plötzlich, wie jemand schnell auf dich zuläuft. Du drehst dich um, doch noch ehe du die Situation begreifen kannst, wird dir deine Umhängetasche entrissen, und der Dieb läuft schnell davon. Du bist erst mal starr vor Schreck. Außerdem hast du eine Prellung erlitten, weil der Dieb dich noch weggeschubst hat, wodurch du unsanft gegen das Haltestellenhäuschen geschleudert wurdest.
Dein Handy ist weg, zwei andere persönliche Wertgegenstände, und Dokumente von deiner Arbeit waren auch noch in der Tasche. Auf der Polizeiwache, wo du am nächsten Tag Anzeige erstattest, fragt man dich das gleiche, was dich auch die Leute vom Hof sofort gefragt haben: War es ein Dunkelhäutiger? Du bist dir nicht sicher, es war dunkel draußen, es ging alles so schnell, aber warum hast du dir das Gesicht des Diebes nicht gemerkt? War er vermummt? Du glaubst eher nicht. Man sagt dir, dass es dann wahrscheinlich sei, dass es ein Dunkelhäutiger gewesen sei. So wird es dann auch ins Protokoll der Anzeige geschrieben.
Man erklärt dir, dass das typisch sei für diese Neger. Also das mit dem schnellen Laufen, weil die das ganz gut können. Außerdem, wer solle es sonst gewesen sein? Schließlich sei das neue Flüchtlingsheim ja gerade vor ein paar Wochen bezogen worden. Es passt in der Tat alles zusammen. Zwei Wochen später stimmst du für den Kandidaten des rechten Flügels deiner Partei ab, und du scheinst nicht alleine damit zu sein. Er setzt sich durch und verkündet, dass es gut sei, wenn es dem Land schlecht gehe, denn je schlechter es dem Land gehe, desto besser für unsere Partei, und desto schneller würden wir an die Macht kommen.
Diesmal sagst du auch nicht mehr „das ist nichts für mich“, als du gefragt wirst, ob du mit möchtest auf eine kleine nächtliche Tour, um Laternenpfähle, Bauzäune und Stromverteilerkästen mit hübschen Aufklebern zu verzieren. Aufkleber mit Hakenkreuzen und „Sieg Heil“. Einer hat eine Pistole dabei. Die sei scharf geladen, betont er, so was brauche man mittlerweile, wenn man nachts in der Gegend unterwegs sei.
Nachdem ihr etliche Aufkleber an verschiedenen Orten platziert habt, wird auch noch der Friedhof aufgesucht. Mit Handytaschenlampen werden schnell ganz bestimmte Gräber angesteuert und erhalten einen Aufkleber mit Judenstern und „Judensau“. Als ihr wieder draußen vor dem Friedhof seid, schlägt einer vor, noch eine zu rauchen. Während ihr so da steht und in der nächtlichen Einsamkeit euer Treiben mit einer Zigarette beschließt, hört ihr plötzlich, wie auf der anderen Straßenseite jemand schnell läuft. „Halt, Stopp!“, brüllt der mit der Pistole laut in die Richtung des Laufenden, „sofort anhalten!“
Der Läufer hält inne und schaut herüber. Ihr geht auf ihn zu. Dein Parteigenosse hat seine Pistole gezogen, entsichert und hält sie auf den dunkelhäutigen Mann gerichtet, der nun ängstlich und zitternd die Hände hebt. „Das ist deiner“, sagt der mit der Pistole zu dir und drückt sie dir in die Hand. „Denk an deine Tasche, wenn du abdrückst“, sagt er dann noch. Es ist alles völlig unwirklich, denkst du dir, ist es vielleicht nur ein Traum? Du zielst auf den Kopf des Mannes und denkst an deine Tasche. Irgendwie verlassen dich plötzlich deine Kräfte. Plötzlich siehst du die anderen nicht mehr. Mit dem letzten Mut der Verzweiflung drückst du ab. Ein lauter Knall.
Du wachst auf. Dein Blick fällt auf deine Leuchtuhr. Es ist der 14. April 2013, noch zwei Stunden bis du aufstehen musst. Du versuchst dich, ausgehend von der letzten schrecklichen Szene des Traums in der Handlung zurück zu hangeln, um dich so nach und nach an den gesamten Traum zu erinnern. Aber dabei schläfst du wieder ein.